Über das scheidende Jahr 2015 und das kommende Jahr 2016 haben sich wohl schon alle Menschen geäußert, die dazu etwas sagen wollten. Dabei zeigten sich alle durchaus emotional, was allerdings leicht zu verstehen ist.

Wenn ich auf die geopolitischen Ereignisse im Jahr 2015 zurückblicke, kann ich den Eindruck nicht loswerden, dass uns (nicht nur Russland, sondern auch den Ländern der Europäischen Gemeinschaft) ein fremdes, feindliches und aggressives Szenario der weiteren schleichenden Entwicklung der Welt aufgezwungen wird. Dabei ist das Wort „Entwicklung" eher fehl am Platze: „Stagnation" würde hier vielmehr passen, besonders wenn man die sinnlosen antirussischen Sanktionen bedenkt, die von einem beispiellosen Ausbruch des Russlandhasses samt einer globalen Lügenkampagne begleitet wurden.

Und da die Russland-Sanktionen keine wichtige Rolle für die US-Wirtschaft spielen, hat das Weiße Haus es gar nicht eilig mit ihrer Abschaffung und zieht es vor, die Konfrontation auf dem europäischen Kontinent weiter zu schüren.

Die Weltpolitik ist im Grunde ein riesiges „Spinnennetz", das sofort auf jegliche Ereignisse in der Welt reagiert, und im Zentrum dieses „Netzes" sitzt eine wachsame finanzielle und politische „Spinne".

Daraus resultiert, dass Politiker die Geschicke der Welt und der Weltgemeinschaft bestimmen, indem sie auf ihr grenzenloses Arsenal auf dem riesigen „Schachbrett" zurückgreifen: das globale Bankensystem, staatenübergreifende Kontakte, die gigantische Militärmaschinerie, die demonstrativ uneingeschränkte Macht, darunter verbotene Waffenarten und die Totale Ausspähung der eigenen „Freunde" geschweige denn Feinde. Die Völker dürfen aber nicht an der großen Politik teilnehmen.

Der russische Premier Dmitri Medwedew ist dem Prinzip treu geblieben, in jeder Situation, selbst in einer scharfen Krise, optimistisch zu bleiben. „Was die Schwierigkeiten angeht, so wird zwar ein Teil von ihnen bestimmt bleiben, aber wir werden sie überwinden", bestätigte er sein Kredo in einem Interview für russische Fernsehsender und zog das Fazit: „Alles wird gut sein", obwohl die Russen selbst laut vielen soziologischen Forschungen als Hauptereignis des Jahres 2015 die Einmischung Russlands in die Konfrontation mit dem "Islamischen Staat" bezeichnet hatten.

Nach Angaben des Allrussischen Zentrums für Erforschung der öffentlichen Meinung interessierten sich die Russen im scheidenden Jahr für die internationale Politik. Die größte Resonanz rief der Konflikt zwischen Russland und der Türkei aus, wobei 74 Prozent der Befragten als Politiker des Jahres den Präsidenten Wladimir Putin bezeichneten. Platz zwei gehört dem Außenminister Sergej Lawrow.

Damit sehen wir in Russland eine Konsolidierung der Bevölkerung. Und in der Europäischen Union beobachten wir dagegen eine riesige Systemkrise, die durch die unbedachte EU- und Nato-Osterweiterung, den Verfall des „Staates des allgemeinen Wohlstands" und die Bürokratisierung des politischen Lebens bedingt ist.

Und die ausgebildete und zivilisierte Europäische Gemeinschaft, die die von Russland freundlich gereichte Hand nicht drücken will, kann nicht begreifen, dass Europas Problem auch für Russland ein akutes Problem ist, an dessen Grenzen sich inzwischen Zehntausende Flüchtlinge anhäufen, die gar nicht wie gehetzte Asylanten aussehen.

Europa sieht aus meiner Sicht wie ein Hund aus, der nie im Leben abgeliebelt wurde und nie ein Kosewort gehört hat, und deshalb auch vor einer freundlich gereichten Hand Angst hat und bellt. Finden Sie einmal ein Video im Internet, und Sie verstehen, was ich meine.

Im Artikel „Mein armes Deutschland" hatte ich bereits über die Rolle geschrieben, die Deutschland bei der Etablierung des neuen Europas spielen müsste. Ich kann nur wiederholen, dass die Aufrechterhaltung des einheitlichen Europas und ihr „Neustart" ohne die Aufrechterhaltung und Erneuerung Deutschlands unmöglich sind. Dabei sollte für den aktuellen und künftigen „Neustart" Europas nicht „nur" der „Neustart" Deutschlands die wichtigste Rolle spielen, sondern der vorzeitige „Neustart" der Beziehungen dieses Landes mit Russland. Und falls dieser „Neustart" Erfolg hat, wird dieser Erfolg auch den „Neustart" der Beziehungen zwischen Europa und Russland bedeuten.

Was muss aber getan werden, damit Westeuropa wieder Teil des einheitlichen Europas wird, zu dem auch Russland gehört?

Meines Erachtens sollten dabei gewisse Institutionen die entscheidende Rolle spielen, die entsprechende Vollmachten haben und imstande sind, den Entwicklungsprozess des neuen Deutschlands und der neuen russisch-deutschen Beziehungen zu starten, die von einem Diktat von außerhalb frei wären.

Hier muss ich ein Komma setzen und bemerken, dass eine solche Institution eine internationale Gesellschaftsorganisation war, nämlich die Gesellschaft Russland-Deutschland. Ihr wichtigstes Ziel ist die allseitige Förderung der russisch-deutschen Partnerschaft auf Gebieten wie Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Informationswesen usw. im Kontext der Festigung der Freundschaft, Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen den Völkern beider Länder.

Die vor 44 Jahren auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und der sowjetischen Führung gegründete Gesellschaft (damals Gesellschaft UdSSR-BRD) erfüllte strikt alle Aufgaben, die einer solchen internationalen Kooperation zugrunde liegen.

Vor kurzem bekam ich ein Angebot, die Führung in dieser Gesellschaft zu übernehmen — und ich stimmte angesichts des Wertes, der aktuell auf die russisch-deutschen Beziehungen gelegt wird, auch zu. Seit dem 23. Dezember bin ich die Vizepräsidentin der Gesellschaft Russland-Deutschland.

Ich denke, zu einer der ersten Veranstaltungen der Gesellschaft sollte die Organisation eines russisch-deutschen Forums werden, das dem Problem des möglichen „Neustarts" der Beziehungen wenn nicht zwischen beiden Ländern, dann wenigstens zwischen den kooperationsorientierten Gesellschaftsorganisationen Russlands und Deutschlands gewidmet wäre. Und hier müsste man den Kontext begreifen, in dem dieser „Neustart" meines Erachtens erfolgen sollte.

Über diesen Kontext schrieb unter anderem das Mitglied des Sinowjew-Klubs der Internationalen Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya, Wladimir Lepjochin, in seinem Artikel „Zwei Schlüsselereignisse des Jahres: Gedächtnis gegen Gedächtnislosigkeit": „Europa war das Hauptsubjekt der Weltgeschichte im Laufe von 1000 Jahren gewesen, aber im vergangenen Jahr spaltete sich die Konstruktion des einheitlichen Europas in antagonistische Elemente. Noch mehr als das: Inzwischen dominiert dort ein prinzipiell neuer anthropologischer Typ im Vergleich zu dem, der nach der Geburt Christi entstanden war. Ich würde diesen Typ als ‚Menschen ohne Gedächtnis‘ bezeichnen. Faktisch handelt es sich dabei um eine Art soziale Amnesie." Nach Einschätzung Lepjochins „hatte die Europäische Union als wichtigste gesamteuropäische Organisation ihren Status als geopolitisches Subjekt — wegen des Verzichts auf ihr historisches Wesen — viel früher als 2015 verloren. Aber im vergangenen Jahr wurde endgültig klar, dass es keine selbstständige europäische Subjektivität (als EU, PACE oder sonst was) mehr gibt. Alle diese Strukturen wurden von einem anderen — noch globaleren — Mechanismus verschluckt, der „Amerikanische Welt" (…) genannt wird."

Das stimmt auch: Die Europäische Union betreibt Wichtigtuerei, indem sie versucht, sich an diesen oder jenen Verhandlungen (zum Beispiel an den Syrien-Gesprächen) zu beteiligen, aber im letzten Jahr wurde endgültig klar, dass von der Einstellung der europäischen Politiker schon fast gar nichts mehr abhängt und dass ihre Teilnahme an den internationalen Angelegenheiten immer mehr „dekorativ" wird.

In einer solchen Situation ist Russland am „Neustart" seiner Beziehungen mit dem Teil Europas sehr interessiert, der souverän bleiben will, sowie an einem solchen „Neustart", bei dem eine besondere Rolle Deutschland spielen würde.

Hoffentlich wird das neue Jahr das Jahr des „Neustarts" der russisch-deutschen Beziehungen werden, so dass — da bin ich ganz sicher — ein unabhängiges Europa, das seine eigenen Interessen verteidigen würde, eine Renaissance erlebt.

Die letzten Begleitworte für das Jahr 2016 wird natürlich unser Präsident sagen — fünf Minuten vor dem Auslauf des Jahres 2015.

Und vorerst lassen Sie mich im Namen des Sinowjew-Klubs der Internationalen Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya uns allen, insgesamt mehr als 146 Millionen Mitbürger, die das schwere Jahr 2015 erlebten und die Würde unserer unteilbaren, multinationalen Heimat verteidigt haben, zum Neuen Jahr gratulieren. Wir haben unsere Entschlossenheit gezeigt, für unsere Heimat zu kämpfen — sowohl weit von ihren Grenzen als auch ganz in der Nähe, in intensiv beleuchteten internationalen Versammlungen und unmittelbar an der Grenzlinie — egal ob auf dem Boden, in der Luft oder im Weltraum, auf oder unter dem Wasser.