Von Videos mit den grausamen Hinrichtungen in Syrien wimmelt es im Internet. Sie sind inzwischen zu einer nahezu gewöhnlichen Sache geworden. Dabei machen die Terroristen diese Videos extra, weil sie wissen, dass sich die Gesellschaft in den Informationstechnologien gut auskennt. Diese hochprofessionell produzierten Videos wurden zu der für die Gesellschaft verständlichen Sprache und zu der Waffe, mit denen das schwarze terroristische International das Massenbewusstsein beeinflusst.

Die destruktiven Ideologien wirken nicht nur mit Worten oder religiösen bzw. politischen „Lehren", sondern auch mit Bildern, Gestalten und Zeichen, die die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ethisch zu beurteilen. Die Ästhetik des Terrors zieht die moderne Gesellschaft an, denn sie lässt sich kaum von Kinofilmen, Videospielen oder Werbespots unterscheiden. Der Terrorismus „spricht" eine Sprache mit der modernen Konsumgesellschaft.

Die Videos, die die Terroristen aus dem so genannten "Islamischen Staat" herstellen und verbreiten, sind eines der Elemente ihrer Kommunikation mit der Gesellschaft und ein Instrument zum Einfluss auf sie. Immerhin war die propagandistische Ästhetik des faschistischen Deutschlands mit derselben kannibalischen Ideologie ein durchaus effektiver Mechanismus zum Einfluss auf die Volksmassen und prägte das kollektive Unbewusstsein einer ganzen Nation, das zum Gegenstand mühseliger Forschungen der Frankfurter Schule in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde.

Media-Kannibalismus und Hyperrealität

Die Epoche der Simulation und Simulakra, die der französische Philosoph Jean Baudrillard in den 1990er-Jahren verkündete, erwies sich als eine der präzisesten und pessimistischsten Beschreibungen des Zustands der modernen Informationsgesellschaft. Die Realität wurde zu einer endlosen Show, sie wurde dem Rhythmus und der Ästhetik eines Karnevals untergeordnet, doch als die Gesellschaft in die „Hyperrealität" einsank, verlor sie die Fähigkeit, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Denn wenn es keinen Unterschied zwischen dem Realen und dem Irrealen gibt, dann gibt es auch keinen Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen.

Baudrillard nutzte die philosophische Abstraktion, doch mit ihren realen Folgen und Umwandlungen wurde die Welt erst heutzutage konfrontiert. Baudrillard selbst hatte ja keinen richtigen Kontakt mit den neuen Multimedia- und Internet-Technologien, die nach dem Golfkrieg von 1991 das Verhalten der Gesellschaft zur Realität kardinal geändert hatten.

Die Utopie des sicheren Verbrauchs der Grausamkeit und Gewalt führte zum genauso bewusstlosen Verbrauch des Kriegs. Die Gestalt des Kriegs entsteht (und wird ganz leicht wieder vergessen) gar nicht zufällig in den Theorien der Informationsgesellschaft, darunter bei dem kanadischen Philosoph Marshall McLuhan: Der Krieg und der Frieden sind in der heutigen IT-geprägten Welt benachbart und reproduzieren einander.

Live ausgestrahlte Morde, die ästhetisch (weil sie real sind) die besten Hollywood-Blockbuster und die neusten Computerspiele übertreffen, machen die aktuelle Sprache der verbraucherorientierten Hyperrealität aus, die in der Zeit der Globalisierung alle Gesellschaftsschichten aus der Sicht des Sinnes und der Ästhetik prägt. Der moderne Terror etablierte sich als globale blutige Reality-Show.

Die Verbrauchsgesellschaft betreibt den TV-Kannibalismus in der für sich sichersten Form — als Spiele und Show. Dabei ist es ganz leicht, diesen Kannibalismus anzufeuern: Man gibt der Gesellschaft etwas, wozu sie schon längst bereit war. Die globalen Medien, die das Massenbewusstsein prägen, haben die Aggression weder verdrängt noch ersetzt — sie haben sie einfach legitimiert.

Ästhetik desTodes und moderne Gesellschaft

Die Wende kam, als neue Medien und Kommunikationstechnologien nach der Computerrevolution allgemeinzugänglich wurden. Nach den Kriegen im Irak und in Jugoslawien in den 1990er-Jahren verlor die Konsumgesellschaft ihr Monopol auf die Medien.

Man kann ja die Konsumgesellschaft verurteilen, aber man sollte nicht vergessen, wie die realen Ursachen dieses Wandels waren. Die Todes- und Gewaltästhetik ist im Grunde die Sprache der sozialen Ausgrenzung und Ungleichheit.

Die Gesellschaft identifiziert sich gleichzeitig mit dem Henker und dem Opfer des Horrors, der ihr gezeigt wird. Nur so pervers kann der moderne Mensch die furchtbare gesellschaftliche Verfremdung überwinden, die inzwischen zur Norm geworden ist.

Das moderne neoliberale Gesellschaftssystem verarbeitet und stürzt „überflüssige" Menschen ins Chaos. Und während früher lokale Nationalisten- und Radikalenzirkel solches Milieu ausmachten, jetzt — in der Zeit der Globalisierung des Kriegs — verlangt der neue Umfang, dass die Sprache der Massenkultur maximal eingesetzt wird.

Die soziale Zerstörung der Gesellschaft ist ohne ihre ethische Deformation unmöglich. Diese Aufgabe erfüllen die Massenkultur bzw. Massenkunst „hervorragend", die ständig Tabus zerstören und die von der traditionellen Gesellschaft bestimmten Beschränkungen überwinden. Die Ideologie des Menschenhasses ist keine Archaik, sondern eine Erscheinung der postmenschlichen Gegenwart, die den neuen Technologien und der Ästhetik der Konsumgesellschaft nicht widerspricht.

Ästhetik des Todes und der Bestrafung

Indem die Gesellschaft die Verbindung mit der Realität verliert und diese durch postmodernistische Simulakra ersetzt, wird sie wehrlos gegen Herausforderungen, die diese Realität sehr radikal und negativ ändern können. Ob man aber gegen die Todesästhetik des schwarzen Internationals kämpfen kann, ohne die Systembasis unserer Gesellschaft zu zerstören?

Vorerst kann die Konsumgesellschaft dieselben Gestalten auf derselben technologischen Plattform gegenüberstellen. Der Realismus und Humanismus, die sich so schwer formatieren lassen, sind unter den Bedingungen des heutigen Informationskapitalismus unpopulär und deswegen verlustbringend.

Und damit kann die moderne westliche Gesellschaft bzw. die Gesellschaft, die nach den westlichen Zivilisationsstandards organisiert wurde bzw. wird, nicht den destruktiven Technologien inhaltlich widerstehen, ohne ihre eigene Kultur revidiert zu haben. Es ist sinnlos, dem Übel zu widerstehen, indem man auf eine Unterhaltung oder ein anderes Übel zurückgreift.

Die moderne Kunst (darunter die Filmkunst und die Medien) ist dermaßen infernal geworden, dass sie der Todesästhetik nichts gegenüberstellen kann. Die Massenhinrichtungen vor der Videokamera sind im Grunde die Fortsetzung von dem, was die Gesellschaft auch im Kino, in den Medien und Computerspielen ständig verbraucht.

Der Todesästhetik kann wohl die Bestrafungsästhetik gegenübergestellt werden, Das tut eben Russland, das gerade ein Comeback in die „reale Geschichte" feiert. Und es wäre äußerst gefährlich, der Versuchung der Hyperrealität der westlichen Gesellschaft beizukommen.