Bei der Sitzung des Sinowjew-Klubs gab es zwischen den Teilnehmern eine Diskussion zum Thema, was man unter dem Westen und was unter Westernismus versteht.

Der Begriff „Westernismus" gehört dem russischen Philosophen, Alexander Sinowjew, der darunter einen sozialen Aufbau verstand, der nicht in Kapitalismus in der Wirtschaft und Demokratie in der Politik bestand, obwohl der Kapitalismus und die Demokratie als fundamentalen Grundlagen der modernen westlichen Welt gelten.
Auf den ersten Blick scheint also, dass die westliche, also euroamerikanische Gesellschaft (oder allgemein der Westen) und der Westernismus fast gleiche und zugleich verschiedene Sachen sind (es ist klar, dass Westernismus das Produkt der Entwicklung des Westens ist, doch der Westen hätte auch im Idealfall ohne Westernismus auskommen können).

Ich werde mich nicht in die Analyse der Unterschiede dieser zwei Begriffe vertiefen, die wohl nur für Philosophen verständlich sind, betone nur, dass für Europa und die USA immer weniger Kapitalismus und die Demokratie und immer mehr Westernismus typisch sind. Zudem ist der Westernismus eine große Bedrohung auch für Kapitalismus und die Demokratie, also für die westliche Gesellschaft im Ganzen. Ich betone auch, dass der Westernismus nicht den Globalismus bedeutet, zudem bedroht der Westernismus ebenfalls den Globalismus.

Wie der Westernismus entstand und wie er den Westen versklavte

Bevor man dieser relativ jungen Erscheinung einen Begriff gibt, sollte man die Evolution der westlichen Welt betrachten, unter der vor allem ein großer Teil Europas (ohne europäischen Teil des postsowjetischen Raums) und die USA gemeint werden.

Ich denke, dass sich der Westen in eine vorrangige Region der Welt seit der Aufstellung der Meereshäfen im östlichen Mittelmeergebiet als Zentren des transregionalen Handels verwandelte. Dieser Prozess wurde ausführlich vom französischen Historiker Fernand Braudel beschrieben, vor allem in seinem Werk „Dynamik von Kapitalismus".

Gerade Braudel und vielleicht einige andere Autoren der bekannten französischen Zeitschrift „Annales" und nicht die weltweit bekannten Wirtschaftsexperten wie Adam Smith bzw. Karl Marx lüfteten das Geheimnis der ursprünglichen Entstehung von Marge als Grundlage des Handelsgewinns und beschrieben den Prozess der Bildung einer Handels-Subkultur innerhalb der europäischen Gesellschaft, die nach mehreren Tausenden seit ihrer Entstehung, bereits zum 20. Jahrhundert solche Erscheinung wie Westernismus zur Welt brachte.

Seit der Bildung der ersten Handelsrepubliken bereits vor dem Christentum entwickelte sich im östlichen Mittelmeergebiet Südeuropa nach dem Formel „WARE-GELD-WARE".

Seit der Verwandlung des Geldes in den Hauptantrieb des Handels und einen universellen Maß für Finanzexperten, die einen höheren Status im Vergleich zu Händlern hatten, und bis zum Beginn der Industrierevolution in Europa verschoben sich die wichtigsten Zentren des politischen Einflusses in den Norden und Nordwesten. Die Grundformel wurde „GELD-WARE-GELD".

Die Ausplünderung der Kolonien nach den Großen geografischen Entdeckungen und die anschließende Finanzrevolution in Europa bestimmten den wissenschaftstechnischen Fortschritt auf dem europäischen Kontinent, den Beginn der Industrierevolution in mehreren westeuropäischen Ländern und den Aufbau von Kapitalismus.

Der Kapitalismus sorgte für die Spaltung in der westlich-christlichen Kirche und das Ergreifen der höchsten Staatsmacht in mehreren europäischen Ländern durch Finanzexperten sowie die Gründung der USA durch die größten Oligarchen Europas mit einer anschließenden Offensive der Finanzexperten und Industriellen auf die Adeligen nicht nur in diesem Land, sondern auch in ganz Europa.

Die Übernahme der Macht im Westen durch Bankenleute (innerhalb der letzten 200 Jahre) und die Bildung des Weltfinanzsystems unter Kontrolle der privaten Banken mit den von ihnen kontrollierten Druckmaschinen und globalen Währungen bewegte die Welt zur Entwicklung nach der Formel „GELD-MACHT-GELD".

Gemäß dieser Logik wurden diejenigen, die die Übernahme der Macht von traditionellen Aristrokaten (Habsburger-, Valois-, Romanow-Dynastien) verhinderten, entweder bei europäischen Revolutionen vernichtet oder zu Marionetten gemacht wurden, wie dies mit Windsor, Bourbonen, Bernadotte u.a. der Fall war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere nach dem Zerfall der Sowjetunion, begannen neue Machtgruppen Westeuropas und der USA, die sich de facto in einen einheitlichen Westen vereinigten, den Rückzug von Kapitalismus und der Demokratie in Richtung der lenkbaren Marktwirtschaft und lenkbaren Demokratie und später der Oligarchen-Wirtschaft und Oligarchen-Politiksystemen.

Im Ergebnis ist das Erste, was jedem Forscher einfällt, der das moderne Euro-Amerika forscht, ist die „Übergesellschaft", wo nicht das Kapital und der freie Markt, bürgerliche Institutionen und freie Medien, sondern Oligarchengruppen herrschen, die nicht Markt- sondern vor allem administrativpolitische Methoden zur Bereicherung nutzen.

Sinn und Wesen von Westernismus — Übermacht

Solchen Aufbau — mit Oligarchensystemen und Steuerungsprinzipien, der sich nach dem Modell „MACHT-GELD-MACHT" entwickelt — meinte Alexander Sinowjew, als er von Westernismus sprach und betonte, dass diese Erscheinung am Rande des 20. und 21. Jahrhunderts das klassische Europa und traditionelle Bibel-Werte vernichtet.

Der Westernismus ist also die Übermacht, die die Ansprüche auf eigene Exklusivität mit allen anschließenden übermenschlichen Ambitionen ins Leben ruft.
Im Wirtschaftsbereich wird die Übermacht von Über-Monopolen, dem globalen Protektionismus, ausufernder Korruption (Ausmaß unter beispielsweise Viktor Janukowitsch ist sehr gering im Vergleich zu den USA), globalen Ausplünderungen der ganzen Staaten wie der Irak, Libyen, Syrien und die Ukraine und Hybrid-Gewalt gegenüber den Wirtschaftskonkurrenten begleitet.

In der Politik verwandelte sich die Übermacht seit langem in eine subglobale Megaoligarchie, die neue Marionettenregimes mithilfe von Revolutionen, Integrationen und freien Handelszonen setzt.

Im Sozialbereich bildet die Übermacht einerseits eine privilegierte Übergesellschaft (Elite der westlichen Welt) und andererseits eine Massengesellschaft eines stillen Verbrauchers von universellen Produkten und Standards.

Im Informationsbereich wird die Übermacht von Überdemagogie mit Manipulierung im Mittelpunkt begleitet. Sinowjew schrieb in seinem Buch „Westen. Phänomen des Westernismus": „Im sozialpolitischen Bereich strebt der Westernismus mnch der Stärkung eines undemokratischen Aspekts des Machtsystems, Stärkung der Rolle der Staatlichkeit, Einführung der undemokratischen Elemente ins Machtsystem und Verwandlung der Demokratie in einen Mittel zur Manipulierung der Massen bzw. Tarnung für einen totalitären Aspekt".

In der Informationsgesellschaft wird der Begriff „Information" immer häufiger zum technologischen Aspekt, damit man von der NSA leichter kontrolliert wird, und solche Personen wie Julian Assange zu Ausnahmen werden.

Wie kann der Übermacht Widerstand geleistet werden?

Dem Westernismus wie auch anderen ähnlichen Erscheinungen — Globalismus auf amerikanische Art, Oligarchisierung der Welt u.a. leistet vor allem der Westen selbst Widerstand. Heute gibt es kaum irgendwo solch eine aktive Anti-Globalisierungsbewegung wie in den USA und Europa. Obwohl dies ein unabdingbares Element von Westernismus ist, sind die meisten Teilnehmer ehrlich in ihrem Protest gegen die Amerikanisierung der Welt und Aufdringen der Exklusivität.

Auch Russland leistet Widerstand gegen den proamerikanischen Globalismus und schlug ein anti-globalistisches Projekt vor — die Formel einer multipolaren Welt, die die Auflösung des Rechts der Oligarchen auf Exklusivität vorsieht.

Alterglobalismus ist das wichtigste Element von Anti-Westernismus und des wahren Antiglobalismus, falls man Antiglobalismus als Ablehnung von Globalismus auf amerikanische Art versteht. In diesem Sinne ist Alexander Sinowjew die auffallendste Figur im modernen Alterglobalismus und der erste ernsthafte Ideologe des modernen, westlichen Antiglobalismus.

Bei der letzten Sitzung des Sinowjew-Klubs der Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya sagte der Chefredakteur der Internet-Zeitung „Russia Insider", US-Amerikaner Charles Bausman, dass es in den USA und Europa heute viele Journalisten und Intellektuelle gibt, die zu einem Dialog mit den russischen Journalisten und Experten bereit sind. Ein solcher Dialog ist tatsächlich eine wichtige Bedingung für die Überwindung der Technologien und Institute der Übermacht. Der klassische Westen ist nicht weniger als Russland und andere Länder an der Überwindung des Westernismus interessiert.