Die bisher letzte Botschaft des Präsidenten Russlands an die Föderalversammlung war äußerst pragmatisch und sogar praktisch. Die Botschaft kann in drei Teile gefasst werden: 1) Die politische Selbstbestimmung Russlands besteht darin, dass der Beschluss in Bezug auf die Krim endgültig und unwiderruflich ist. Unser Land würde in den geopolitischen Streitigkeiten seine Souveränität nicht opfern. 2) Der Präsident unterbreitete dem Bürgertum den ökonomischen Vorschlag einer Amnestie für das Kapital und einer allgemeinen Liberalisierung des Geschäftsklimas im Land, weil die Handlungen unserer geopolitischen Rivalen auf die Spaltung unserer Gesellschaft gerichtet sein werden und sie versuchen werden, den Druck auf unsere Behörden über den reichen Teil unserer Bevölkerung auszuüben – also über diejenigen, die vieles verlieren können; 3) Wichtige Aufträge an die Regierung und das Parlament, die mit den Besonderheiten der jetzigen Situation verbunden sind.

Am interessantesten und rätselhaften ist wohl der zweite Teil der Botschaft, über den wir uns jetzt Gedanken machen werden.

In der jetzigen Situation sind unsere Geschäftswelt und das Kapital einer der wichtigsten und vielleicht sogar der wichtigst Kanal zum Druckausüben auf unsere Behörden seitens des Westens. Der Westen sagt unserer Geschäftswelt: „Ihr solltet nicht vergessen, wo sich eures Geld befindet. Es befindet sich bei uns“. Deswegen wäre es in eurem Interesse, auf Putin Druck auszuüben, damit er die Ukraine loslässt und auf die Krim und die Souveränität Russlands verzichtet. Am besten wäre es, Putin überhaupt loszuwerden. Auch Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass alle so genannten antirussischen Sanktionen in der Tat vor allem auf einen Machtsturz in Russland ausgerichtet sind. Michail Chodorkowski wurde bereits zum Anführer der bevorstehenden Revolution ernannt, er hielt bereits eine entsprechende Rede.

In dieser Situation hat der russische Präsident zwei Szenarios – ein repressives oder ein liberales. Er wählte eine liberale Variante und schlug dem Kapital vor, gegen bestimmte Garantien nach Russland zurückzukehren. Der Druck auf Russland wird unabhängig von der Entwicklung der Ukraine-Ereignisse zunehmen. Das sagte der russische Staatschef auch in seiner Botschaft. Er gibt dem russischen Kapital die Möglichkeit, kein Gefangener des Westens in diesem großen geopolitischen Spiel zu sein. In der bevorstehenden Konfrontation schlug Putin unserem Kapital vor, eine Entscheidung zu treffen – in Russland auf der Seite Russlands oder ein Instrument des Westens beim Kampf gegen Russland zu sein. Darin besteht der politische Sinn der Offshore-Amnestie.

Doch sie hat auch einen ökonomischen Sinn, der außerhalb Putins Botschaft blieb. Die westliche Wirtschaft kämpft mit enormen Schulden. Es gibt keine Wege, um sie zurückzuzahlen. Wie die Schuldenprobleme des Westens gelöst werden können, zeigte bereits das Beispiel Zypern. Die Schuldenverluste werden durch das Geld auf den Konten kompensiert. Dieser Weg zur Beseitigung der Schuldenlast wurde bereits in der EU als offizieller Weg anerkannt, obwohl darüber nicht laut gesprochen wird. Der Entzug der Einlagen ist der einfachste und effektivste Weg zur Lösung der Schuldenprobleme. Es gibt auch keine Zweifel daran, dass bei diesem Prozess am stärksten die Konten der Offshore-Unternehmen und der Ausländer betroffen werden. Laut den USA sind sie frei in Bezug auf den Umgang mit dem Dollar. Es handelt sich doch um keine Verpflichtung des Staates USA, sondern nur um eine Verschreibung eines privaten Finanzinstituts – Fed. Der US-Dollar kann zu jedem Zeitpunkt entwertet werden, um die Schuldenprobleme der USA zu lösen. Das geschah bereits mindestens zweimal in der Geschichte der USA. In den 1930er-Jahren wurde der Dollar gegenüber dem Gold entwertet. In den 1970er-Jahren wurde überhaupt auf die Untersetzung mit Gold verzichtet. Die Ausfuhr des Geldes in den Westen ist heute kein garantierter und unriskanter Weg, das Geld aufzubewahren. Bei der Antwort auf die Frage, wo und wie das eigene Kapital aufbewahrt werden soll, ist die Wahl zugunsten des Westens keine eindeutig gute Variante. Vielleicht wäre die Aufbewahrung in Russland am sichersten.

Und noch etwas. Die Amnestie wurde zur Einzel-Aktion erklärt. Es ist wichtig, dass unser Bürgertum die Folgen dieser Entscheidung versteht. Darüber wurde in der Botschaft nichts gesagt, doch es liegt auf der Hand, dass das russische Kapital, das über die Amnestie nicht legalisiert wird, anscheinend zum Objekt der Verfolgung und von Sanktionen seitens des russischen Staates wird. Es ist sehr wichtig, dies zu verstehen, weil das ausgeführte Kapital nur bei einigen Ausnahmen im Westen für die Reproduktion geeignet ist. Zur Reproduktion und Anhäufung von Kapital nutzt die russische Wirtschaft die Geschäftsmöglichkeiten in der Heimat. Dann werden diejenigen  die Möglichkeit haben, in Russland zu arbeiten und fair zu verdienen, die ihr Kapital bei der Amnestie legalisieren. Die Risiken der strafrechtlichen Verfolgung und der Unmöglichkeit der weiteren Geschäftsführung werden in Russland für diejenigen steigen, die bei der Amnestie nicht mitmachen. Das ist logisch. Sehr wichtig ist zudem, wie genau die Amnestie erfolgen wird. Unser Bürgertum soll dem Staat vertrauen. Das ist eines der schwierigsten Momente in dieser Angelegenheit. Putin versteht das, weil er persönlich versprach, sich mit der Vorbereitung und Umsetzung der Amnestie für das ausgeführte Kapital zu befassen. Doch bislang bleiben bei der Umsetzung der Amnestie viele Fragen ohne Antwort. Sie sollten besprochen werden.

Es liegt auf der Hand, dass eine solche Amnestie systematisch sein muss. Sie muss sich auf alle Typen von Aktiva und nicht nur auf die Finanzmittel auf den Konten erstrecken. Dehnt sich die Amnestie auf das gesamte Auslandsvermögen der russischen Staatsbürger aus?  Wie läuft es mit der Besteuerung? Das ist eine wichtige Frage, weil es keinen Sinn hat, einen Teil des Kapitals zu amnestieren, wenn noch etwas übrig bleibt, was verfolgt werden kann. Es ist kein Geheimnis, dass ein bedeutender Teil der so genannten ausländischen Investitionen nur formell ausländisch ist. Viele Unternehmer besitzen Aktiva in Russland über ausländische Unternehmen. Können sie ihre Aktiva in Russland ohne weitere Verfolgung legalisieren? Sie müssen diese Möglichkeit bekommen.

Es ist ebenfalls wichtig, dass es für die Teilnehmer der Amnestie bei der Rückkehr der Devisen nach Russland keine Änderung der Devisengesetzgebung geben darf – weder in Bezug auf den Währungsverkehr in Russland noch in Bezug auf eine freie Ausfuhr des deklarierten Kapitals und die Möglichkeit, für ausländische Empfänger zu zahlen.

Wichtig sind die Kriterien der Nicht-Anwendung der Amnestie. Einige von ihnen wurden bereits von Regierungschef Dmitri Medwedew genannt. Dazu gehören die Finanzmittel aus dem Drogen- und Waffenhandel. Anscheinend sollen in diese Liste auch die Gelder aus dem Sklavenhandel und dem illegalen Organhandel aufgenommen werden. Vielleicht noch etwas Ähnliches. Am wichtigsten ist, dass diese Liste kurz, klar, eindeutig und erschöpfend sein muss. Sie sollte keine Interpretationen vorsehen. Die vom Staatsbürger per Amnestie deklarierten Aktiva dürfen unter keinen Bedingungen zum Objekt einer strafrechtlichen Verfolgung werden – außer aufgrund der Liste der Aktiva mit fragwürdiger Herkunft.

Die Form und der Weg der Umsetzung der Amnestie sollten unter Experten und in Beratungen besprochen werden. Dabei geht es um das kleinste Detail. Anschließende Änderungen sollten ausgeschlossen werden. Die Amnestie muss erfolgreich sein, weil dies heute in Russland der einzige Weg ist, ein wahres nationales Bürgertum zu bilden, das bereit ist, das historische Schicksal zusammen mit dem Volk und dem Staat zu teilen.