„Wir sehen, dass Versuche unternommen werden, die Gesellschaft in vielen Ländern umzucodieren, darunter in unserem Land“, sagte Wladimir Putin beim jüngsten Treffen mit Wissenschaftlern und Dozenten im Staatlichen Zentralen Museum für die Moderne Geschichte Russlands. Das sind nicht einfach nur Worte. Das ist eine weitere grundlegende These des Präsidenten Russlands, die aus der sich heute in unserem Land herausbildenden neuen zivilisatorischen Ideologie hervorgeht.

Wollen wir uns in diesem Zusammenhang aus der Sicht des zivilisatorischen Herangehens den Umcodierungsprozess anschauen, mit dem unser Land in den letzten rund 100 Jahren konfrontiert war.

Bekannt ist, dass Russland mit der Machtübernahme der Bolschewiki total umcodiert wurde, weil das neue Regime sich zum Ziel setzte, die meisten traditionellen russischen zivilisatorischen Werte durch die neuen quasizivilisatorischen zu ersetzen. Orthodoxie wurde durch Atheismus ersetzt, die organisch gewachsene Struktur der Gemeinden durch Kolchos-Pseudokollektivismus, das Imperiale durch das Einparteiensystem, das  Schichtenmodell durch eine klassenlose Gesellschaft. Das traditionell bäuerliche Land wurde industrialisiert und urbanisiert. Jahrhunderte währende Werte – sowjetisiert und marginalisiert. Es liegt auf der Hand, dass die Sowjetische Macht gerade wegen des künstlichen Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft, die die für die Völker Russlands natürlichen Formen und Methoden der Organisation ersetzen sollte, sich im Endergebnis selbst vernichtete.

Die sowjetische Perestroika und die anschließenden liberalen Reformen im postsowjetischen Russland wurden von verschiedenen zivilisatorischen Prozessen begleitet. Ein bedeutender Teil der national gesinnten Kräfte (Patrioten) bestand auf einer notwendigen DECODIERUNG des sowjetischen Bewusstseins und der Lebensart und die Rückkehr des Landes zu den Werten des vorrevolutionären und imperialen Russlands. Ein bedeutender Teil der liberalen Kräfte (Demokraten) unterstützte eine prinzipiell andere Strategie. Diese Kräfte bringen — bewusst oder nicht — Technologien einer weiteren UMCODIERUNGSWELLE des nationalen Lebens und des russischen Selbstbewusstseins voran, die die Ablösung des sowjetischen Entwicklungsmodells der Russischen Föderation durch ein weiteres prowestliches bzw. übernationales Modell vorsieht, das in den russischen und ausländischen Medien ein europäisch-amerikanisches Konsum- und Oligarchenmodell genannt wird.

Wegen der Umcodierung des nationalen Bewusstseins und des Übergangs des Soziums zunächst zu einem experimentellen, kommunistischen und kosmopolitischen Entwicklungsparadigma und dann nach drei Generationen zu einer weiteren großangelegten Umcodierungswelle, jetzt in Richtung Ablösung der postsowjetischen Zivilisation durch einen modernen (liberalen bzw. neokonservativen) Lebensstil – wurde der soziokulturelle Raum Russlands stark eklektiert. Dabei wurden Merkmale verschiedener Zivilisationen miteinander vermischt. Damit negieren sich verschiedene im postsowjetischen Raum funktionierende Prozesse gegenseitig, bringen neue Marginalisierungswellen (die als Modernisierung und soziokulturelle Emanzipierung dargestellt werden) und Gegenmarginalisierung zum Leben – die Überwindung des wertemäßigen und rechtlichen Chaos bzw. Vakuums nicht durch die Stärkung und Verbesserung des säkularen rechtlichen Systems und der Werte für Russland sondern durch die Stärkung der Rolle von konfessionellen, ethnischen, korporativen und Marketing-Regulatoren. Die Stärkung dieser Regulatoren geschieht vor allem in den fragilsten Segmenten des zivilisatorischen Gewebes, vor allem in Familien bzw. persönlichen Beziehungen sowie in anderen Bereichen des menschlichen Lebens, die traditionell vor allem mit geistlich-moralischen Richtlinien, Normen und Prinzipien gefüllt werden.

Damit muss man heute nicht nur eine von außen gesteuerte Zombierung der russischen Gesellschaft befürchten. Der Westen stellte sich de facto die Aufgabe der Säuberung der russischen Zivilisation, wonach an deren Stelle etwas prinzipiell anderes entstehen soll.

Hier sind verschiedene Aspekte zu erwähnen.

Erstens muss man verstehen, dass die westeuropäische Zivilisation seit langem nicht mehr europäisch und christlich ist. Das ist eine amerikanischartige Zivilisation, ein Teil der globalen „Welt des Geldes und Gewinns“. Das Christentum ist dabei ein Bühnenbild, was durch das Erscheinen des Jesuiten Franziskus I. als Papst bewiesen wird, der das Ansehen und den Einfluss der katholischen Kirche zugunsten der neuen Herrscher des Vatikans untergräbt. Die gesamteuropäischen Werte mit dem Schwerpunkt — Freiheit für die sexuellen Minderheiten bzw. völlige Gleichgültigkeit gegenüber  Morden an Hunderttausenden unschuldigen Menschen, darunter Kinder im Irak, Syrien oder Neurussland, sind seit langem eine Karikatur geworden.

Zweitens ist die Umcodierung der russischen Gesellschaft eine milde Bezeichnung. Seit diesem Jahr ist eine aggressive Expansion des Westens in den Raum der russischen Welt angesichts des Beginns großangelegter zivilisatorischer Kriege im gesamten europäisch-amerikanischen Raum zu erkennen. Die größte Bedrohung für Russland wird damit nicht einfach ein drohender Verlust irgendwelcher Bestandteile des kulturellen Codes, sondern auch die drohende Entropie und die Teilung des Landes zwischen drei konkurrierenden Zivilisationen – Westen, Süden und Osten. Alexander Sinowjew schrieb darüber vor 15 Jahren: „Die russische Tragödie ist noch nicht zu Ende. Es wird erfolgreich die zweite Etappe des Anti-Russland-Projekts umgesetzt. Uns steht die dritte und schrecklichste Etappe bevor – hinsichtlich der Präsenz der Russen in der Geschichte des Landes. Das Wesen dieses Projekts – den Beitrag der Russen zur Geschichte der Menschheit zu verzerren und zu untergraben, im Ergebnis so zu tun, als ob es dieses große nie Volk auf der Erde gegeben hat”.

Drittens, die russische Staatsführung hat keine effektiven Waffen gegen die Umcodierungstechnologien gegen das Massenbewusstsein der Konsumgesellschaft. Doch als die „neurussische“ Führung es nicht geschafft hat, den schweren russischen Körper aus den traditionellen Hosen herauszuholen und die engen europäischen Hosen anzuziehen, wurde klar, dass man sich nicht nur Gedanken über die Aufrechterhaltung der souveränen Werte im Raum der Russischen Welt machen, sondern auch zur Ausarbeitung und Umsetzung einer effektiven Strategie der zivilisatorischen Entwicklung übergehen muss.

In diesem Zusammenhang hat die russische Gesellschaft heute mindestens sieben Aufgaben:

●    Decodierung des sowjetischen (atheistischen, etatistischen, pseudokollektivistischen u.a.) quasizivilisatorischen Archetypus und Befreiung von einigen Merkmalen der sowjetischen und imperialen Zivilisation bei einer möglichen Aufrechterhaltung einiger von diesen Merkmalen;
●    Bremsung und Blockierung der prowestlichen, neokonservativen und neoliberalen (quasihumanistischen, Verbraucher, kosmopolitisch-globalisatorischen, antiorthodoxen, ökumenischen, sektiererischen, russenfeindlichen u.a.) und jeder anderen Umcodierungsformen der grundlegenden Elemente der Russischen Welt;
●    Wiederherstellung und Erneuerung des ursprünglichen und originalen, innerhalb von mehreren Jahrtausend herausbildenden russischen orthodoxen sozialen und werteorientierten Archetyps;
●    Integration und Verflechtung der für Russland organischen und orthodoxen bzw. anderen osteuropäischen, eurasischen und anderen Sinne und Werte im Rahmen der sich herausbildenden russisch-eurasischen anthropozentrischen Welt;
●    Bestimmung und Annahme einzelner neuer Merkmale, Werte sowie des Wesens und als Grundlage einer konkurrenzfähigen, wiederherstellbaren und sich entwickelnden russischen Zivilisation;
●    Sicherung eines quantitativen und qualitativen Wachstums des russischen Anthropofaktors durch die Vermenschlichung der russischen Wirtschaft, Politik und anderer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie die Aufnahme der Ideen in die zivilisatorische Theorie, die eine aufmerksame und größere Erforschung der entsprechenden anthropologischen und axiologischen Problematik erfordert;
●    Bildung einer Grundlage der Weltanschauung der künftigen Eurasischen transregionalen Zivilisation als „Welt der Menschen und Werte“ mit Russland als ihr Kern bzw. einer der Kerne.

Die oben genannten Aufgaben sind die Grundlage einer Überlebensformel und einer konkurrenzfähigen Positionierung Russlands in der globalisierten Welt. Deswegen müssen die Worte Wladimir Putins über die Versuche des Westens, unser Land umzucodieren, nicht nur als Warnung sondern auch als Anweisung für die modernen russischen Eliten bezeichnet werden.

Leider begann die prowestliche Zombierung der Bevölkerung der postsowjetischen Länder nicht erst gestern. Hätten die russischen Behörden den Sinn und das Ausmaß dieses Prozesses verstanden, hätte es vielleicht den Bandera-Streich in Kiew nicht gegeben. Doch die Umcodierung des nationalen Archetyps ist in der Ukraine gelungen. Aber wir halten die Ukrainer für Brüder, weil wir in der Tradition einer souveränen Deutung der Geschichte denken und die meisten Staatbürger der Ukraine, die älter als 30 Jahre sind, sind tatsächlich unsere Brüder. Doch diejenigen, die jünger als 30 Jahre sind, wurden zombiert und sind wohl für die Russische Welt verlorengegangen.

Ein bedeutender Teil der neuen Generation der Ukrainer hat heute andere Werte, andere Ausgangspunkte. Das ist keine russische, keine orthodoxe und keine internationale und freie Generation. Sie wurde programmiert, nicht um zu denken, zu schaffen und zu lieben, sondern um zu kauen, zu springen und zu hassen. Selbstverständlich will niemand von unseren Staatsbürgern, der einen nüchternen Verstand hat, eine umcodierte Zukunft für die russische Jugend. Die Worte des Präsidenten wurden am 5. November gerade an sie gerichtet. Die Frage besteht nur darin, wie weit die prowestliche Umcodierung in unserem Lande ging.