Die Instabilität und das Chaos, die ständig zunehmen, die aggressiven Aktivitäten des Westens gegenüber Russland, die sich abzeichnende neue Wirtschaftskrise zwingen Russland dazu, seine historische politische und wirtschaftliche Führungsrolle zurückzuerobern, was ohne eine soziale Regeneration unmöglich ist, die ihrerseits die Basis der Konkurrenzfähigkeit in der modernen Welt ausmacht. Denn selbst während des Kalten Krieges bestand der wichtigste Vorteil der Sowjetunion nicht in ihrer militärischen Stärke, sondern in der sozialen Organisation der Gesellschaft, wie Alexander Sinowjew völlig richtig hervorhob.

Auf den Ruinen der Megagesellschaft

Als wichtigsten Beitrag der sowjetischen Gesellschaft zum sozialen Fortschritt der Menschheit bezeichnete Sinowjew den Aufbau des „realen Kommunismus“. Den realen – „sowjetischen“ bzw. „russischen“, wie ihn Sinowjew nannte – Kommunismus sollte man von dem ideologischen Kommunismus unterscheiden, der die Basis für diverse propagandistische Manipulationen, für ideologischen Betrug und verschiedene Fälschungen seitens sowohl der Anhänger als auch der Gegner der sowjetischen Gesellschaft bildete.

Der reale Kommunismus hatte viele Nachteile (die Sinowjew entschieden kritisierte) – allerdings genauso wie der reale Westen. Aber das Vorhandensein von Problemen kann nicht die zahlreichen Errungenschaften der sowjetischen Gesellschaft durchkreuzen, die im Laufe von vielen Jahren die globale Führungsrolle bei der sozialen Evolution der Menschheit beanspruchte und in einer gewissen Phase sogar den Westen überholen konnte.

Dabei handelte es sich nicht nur um die Konkurrenz zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen System, sondern auch um die Konkurrenz zwischen zwei Megagesellschaften, die die ganze Entwicklung der Weltgeschichte im 20. Jahrhundert vorbestimmte. Die Ergebnisse des Kalten Krieges schienen den Schlusspunkt in diesem Prozess gesetzt zu haben.

Die sowjetische Gesellschaft war gedemütigt und vernichtet, und die Megagesellschaft wurde infolge einer sozialen Konterrevolution zerstört. Russland verwandelte sich in eine Peripherie der westlichen Welt.

Der Umfang der sozialen Katastrophe hat ihre geopolitische Bedeutung übertroffen. Die Geschichte geriet voll und ganz unter Kontrolle der westlichen Megagesellschaft (sprich einer Vereinigung einer höheren Ebene als traditionelle nationale Staaten), was für Fukuyama im Jahr 1992 zum Anlass wurde, das „Ende der Geschichte“ zu verkünden.

Russland geriet in eine Zivilisations-„Sackgasse“. Wie Alexander Sinowjew in seinem Werk „Der Tod des russischen Kommunismus“ betonte, wurde „die soziale Organisation des postsowjetischen Russlands bewusst so konstruiert, dass seine Wiederauferstehung als soziales Phänomen, das mit dem Westen um die Dominanz im Verlaufe der Evolution der Menschheit konkurrieren und dem Westen im Kampf um die globale Herrschaft Paroli bieten könnte, unmöglich wird.“

Unter diesen Bedingungen war nicht nur ein Kampf um die Führungsrolle, sondern selbst eine minimale Konkurrenz bisher einfach unmöglich. Im Frühjahr 2014 hat sich die Situation allerdings verändert, und Russland bekam eine neue historische Chance für den Wiederaufbau seines eigenen Sozial- und auch Zivilisations-Projekts.

Arbeit als Basis eines neuen sozialen „Designs“

Was ist der einmalige Konkurrenzvorteil des modernen Russlands gegenüber dem globalen Westen? Der wichtigste Vorteil bzw. die wichtigste Besonderheit (das einmalige Angebot, wenn man auf Begriffe aus dem Branding und Marketing zurückgreift) könnte die gemeinnützige Arbeit werden – unter der Bedingung eines zivilisationsbezogenen Umdenkens der Arbeit im Rahmen der projektbezogenen Herangehensweise.

Als gemeinnützige Arbeit sollte man eine solche Arbeit betrachten, ohne die die jeweilige Gesellschaft nicht zurechtkommen kann und die gleichzeitig die Basiswerte der Gesellschaft, ihre sozialen Mechanismen, Verhaltensprinzipien und Entwicklungsprioritäten bestimmt. Heutzutage kann man zwei Typen der gemeinnützigen Arbeit definieren: die „relative“ und die „absolute“.

Zur „absoluten“ gemeinnützigen Arbeit gehören Medizin, Bildungswesen, Wissenschaft, soziale Dienste und Sicherheit. Im Rahmen des Staates ist sie für alle Gesellschaftsklassen unabhängig von ihrem sozialen Status und ihrem materiellen Wohlstand zugänglich. Die absolute gemeinnützige Arbeit ist mit privaten Einkommen und dem privaten Kapital nicht verbunden.

Die „relative“ gemeinnützige Arbeit betrachtet die Gesellschaft als Verbraucher, und ihre Nützlichkeit beschränkt sich auf die Kaufkraft jedes einzelnen Menschen und der ganzen Gesellschaft. Und obwohl sie dank der Verbreitung von Verbraucherwaren und Dienstleistungen gewissermaßen nützlich ist, ist die relative gemeinnützige Arbeit meistens überflüssig, spekulativ, und davon profitiert nur ein kleiner Teil des Kapitals.

Die „relative“ gemeinnützige Arbeit benutzt Instrumente des humanitären und kommunikativen „Zwangs“ zum  Verbrauch und tut im Rahmen der modernen Politökonomie so, als würde sie sich nach den realen und Basisbedürfnissen der Gesellschaft richten. Aber sie provoziert gleichzeitig Armut, Dehumanisierung und Dequalifikation und vernichtet das humane Potenzial auf beiden Seiten des Verbrauchs.

Die vernünftige sozialwirtschaftliche Bilanz zwischen beiden Arbeitstypen wurde im liberal-kapitalistischen westlichen System schon längst verletzt. Die Arbeit wird vom Kapital angeeignet und wird immer weniger gemeinnützig. Die Nutz- und Sinnlosigkeit ihrer Aktivitäten spüren viele Arbeiter ganz verschiedener Wirtschaftsbranchen, und selbst die Tatsache, dass sie erfolgreich und nachgefragt sind, macht den latenten sozialen Pessimismus nicht geringer.

Soziale Regeneration und Ausweg aus der historischen Sackgasse

Dass immer mehr Berufe, die für die Gesellschaft lebenswichtig sind, für die gemeinnützige Arbeit verlorengehen, ist damit verbunden, dass die gemeinnützige Arbeit immer mehr und mehr von privaten Geschäftskreisen geleistet wird, was eine der prinzipiellen Forderungen der neoliberalen Wirtschaft ist. Die Arbeit zugunsten der Gesellschaft, die vom Staat geleistet wird, wird durch die Arbeit zugunsten des Kapitals ersetzt, das keine Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft hat (der Milliardär Michail Prochorow hat das einst in seinem Programmartikel geäußert).

So bauen die Bauunternehmen heutzutage Wohnungen, die für die meisten Menschen nicht zugänglich sind, und diese Arbeit wird nicht mehr als soziale wahrgenommen. Die Bauunternehmen bedienen die höchsten Gesellschaftsschichten. Dasselbe passiert auch mit dem Bildungs- und Gesundheitswesen, weil ihre Dienstleistungen immer teurer werden.

Die gemeinnützige Arbeit ist im Unterschied zur marktorientierten Arbeit stabiler und leistet deshalb dem Privatkapital Konkurrenz, indem sie die Gesellschaft bzw. den Staat unabhängig vom Kapital macht. Die gemeinnützige Arbeit schafft Bedingungen für die Einheit der Gesellschaft (dank Instituten, die einander im Rahmen einer einheitlichen Staatsstruktur vervollkommnen).

Der Schlag gegen die gemeinnützige Arbeit ist eine durchdachte Strategie: Für das Kapital ist sie eine Konkurrenz und Belastung, denn im Unterschied zur aufgeblasenen Struktur der relativen gemeinnützigen Arbeit schafft sie keinen  Mehrwert (und keine Ausbeutungsbedingungen).

Das Modell des modernen liberalen Kapitalismus droht der russischen Gesellschaft mit faktischer Zerstörung und – wenn man das Kind beim Namen nennt – mit einem sozialen Völkermord. Besonders zynisch und pikant ist die Situation in Russland deswegen, weil von der Nutz- und Sinnlosigkeit von Juristen und Managern dieselbe liberale Klasse spricht, die früher den Vätern der heutigen Juristen sagte, sie hätten sich an den Markt nicht angepasst.

Im 21. Jahrhundert könnte die neue Arbeitskonzeption fundamental für die ganze Welt werden, und zwar dank der russischen Idee, deren einzelne Aspekte sowohl in der sowjetischen als auch in der russischen Vorrevolutionszeit enthalten waren. In die gemeinnützige Arbeit müssen die Berufe integriert werden, die derzeit in Diensten des Kapitals stehen.

Heute scheint das eine Utopie zu sein. Aber gerade so scheint die westliche Gesellschaft die aktuelle soziale Realität zu verstehen, die in Russland die größte Gefahr für ihre Macht sieht, und zwar zu Recht.