Im Mai dieses Jahres ist der Film „Leviathan“ des Regisseurs Andrej Swjaginzew bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet und für den Oscar-Filmpreis nominiert worden. Das ist natürlich ein großer Erfolg und zugleich eine gute Chance für den russischen Filmregisseur, sich in der „Königsklasse“ der internationalen Filmkunst zu etablieren. Aber es ist auch eine heikle Situation, denn Swjaginzew ist in dieselbe Falle geraten wie der romantische Teil der „kreativen Klasse“ in Russland, die vor relativ kurzer Zeit auf die Straßen gegangen war und dabei positive Absichten hatte, in Wahrheit aber den Weg an die Macht für Kräfte freimachte, die nie positive Absichten hatten.

In diesem Zusammenhang sind Alexander Sinowjews Worte über die „Kämpfer gegen das sowjetische Regime“ erwähnenswert, die „auf den Kommunismus gezielt waren, aber Russland getroffen haben“. Auch Swjaginzews neuer Film war gegen das offensichtliche Übel gerichtet, hat aber im Grunde Russland getroffen. So hat beispielsweise ein Filmkritiker geschrieben: „Leviathan ist die russische Macht. Ihre ganze verdammte Vertikale, die jeden tötet, der ihr im Wege steht oder wenigstens versucht, die Stimmung zu vermiesen. Da gibt es Polizisten an jeder Kreuzung, den Bürgermeister, den lächelnden Führer, dessen Foto an der Wand hängt, und — über allen – den Hierarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, der seinen Kirchengängern – den Beamten – den richtigen Weg zeigt und sie immer wieder daran erinnert, dass jede Macht ein Geschenk Gottes ist. Bisher hatte sich niemand erlaubt, die ganze Gesetzlosigkeit, die in unserem Land zu beobachten ist, so offen der Kirche vorzuwerfen. Das heißt fast niemand – bis auf einige Mädchen in bunten Sturmhauben, die dafür für zwei Jahre hinter Gittern gelandet sind.“ Na so was – selbst die Russisch-Orthodoxe Kirche wurde „für die ganze Gesetzlosigkeit“ angeprangert.

Egal also, gegen welches Monster Swjaginzew gedanklich kämpfte — im Westen wird man seinen Film so interpretieren, dass Leviathan das „russische Reich“ und Wladimir Putin persönlich verkörpert. Ich denke, dass auch neulich in London, wo dieser Streifen mit einem weiteren Preis ausgezeichnet wurde, der Applaus nicht der künstlerischen Qualität, sondern vor allem dem Pathos des Filmes galt. Egal was der Filmemacher und seine Produzenten in zahlreichen Interviews sagten (zum Beispiel, dass sie während der Dreharbeiten am wenigsten an Filmpreise gedacht hätten), haben sie mit ihrem Film dem wahren Leviathan nur geholfen.

Die internationale Oligarchie – das ist der WAHRE LEVIATHAN, der die ganze Menschheit mithilfe von globalen Finanz- und Informationsnetzen erwürgt, der Politiker, Journalisten und einfache Menschen dazu zwingt, zu lügen und vor dem Geld und den Waffen einzuknicken. Wer widersteht heutzutage diesem Monster? Wer wagt es überhaupt, wenigstens ein Wort dagegen zu sagen? Das ist sicherlich nicht Andrej Swjaginzew.

Dem wahren Leviathan widerstehen Menschen wie Alexander Sinowjew, die nicht an Preise denken, sondern an Golgatha.  Während des jüngsten Treffens des Sinowjew-Klubs wurde die Idee geäußert, dass eine Alternative für den „monetären Totalitarismus“ nur nationale Staaten sein könnten. Dieser These könnte man wohl zustimmen, wenn sich einige Fragen nicht stellen würden. Wie viele souveräne Staaten sind beispielsweise in der Welt noch geblieben? Und wie stark sind sie heutzutage (wohl abgesehen von China), damit sie der Globalisierung nach amerikanischer Art widerstehen können? Es ist offensichtlich, dass Russland trotz seiner zahlreichen Probleme und Schwierigkeiten eines der wenigen halberwürgten Länder ist, die nicht einfach schweigen wollen. Aber unser Präsident hat das nicht deswegen getan, weil Russland ein nationaler Staat ist, sondern weil es mehr als nur ein Land ist. Das russische Establishment sucht heutzutage nach einem passenden NAMEN für das Große Russland, während der Westen sich den Beinamen für Russland längst einfallen ließ: „Das Reich des Bösen“.

In dieser Bezeichnung können die Russen leider nur das zweite Wort ablehnen, indem sie das erste im Grunde akzeptieren müssen. Dabei ist das Problem ausgerechnet mit dem ersten Wort verbunden. Dank Russland-Hassern wie beispielsweise der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und deren Antipoden – den Träumern von einem Imperium – herrscht im Westen die Meinung vor, Russland wäre ein Reich. Und da es ein Reich ist, dann ist es logischerweise „ein Reich des Bösen“, denn „gute Reiche“ gibt es nicht. Jedenfalls gibt es solche Bezeichnungen im internationalen politischen Lexikon nicht. Und in diesem Kontext wird im Westen immer wieder von der Konfrontation zwischen der „kleinen“ und „souveränen“ Ukraine und dem riesigen „Reich des Bösen“ aus dem Osten geredet.

Eines der Ziele des US-Außenministeriums bei der Organisation des Staatsstreichs in der Ukraine bestand darin, dass Russland auf den ukrainischen Nationalismus mit russischem Faschismus und auf den ukrainischen Unitarismus mit seinen imperialen Ambitionen antworten würde. Das US-Außenministerium unterstützt sowohl in der Ukraine als auch in Russland rechtsradikale Bewegungen, genauso wie auch in islamischen Ländern, wobei die Gruppierungen wie Al-Qaida oder Islamischer Staat als Schreckgespenste gelten, damit sich souveräne Völker möglichst schnell der „zivilisierten“ Welt anschließen. Russland widersetzt sich jedoch den Ideen des Unitarismus und Nazismus mit seinen Ideen des Föderalismus und Internationalismus. Das stört die Globalisten ungemein, die quasi gezwungen sind, „Mädchen in bunten Sturmhauben“, „unabhängige“ Journalisten oder populäre Filmregisseure auszuzeichnen, die nicht die globale Oligarchie als Leviathan verkünden, sondern die längst bekannte (und zwar nicht nur für Russland typische) Habgier der russischen Beamten.

Wie kann sich Russland aus den zahlreichen Fallen befreien, in die es an verschiedenen Stellen geraten ist? Vor allem muss es die richtigen Namen verwenden. Man muss die Hypostase der Russischen Welt angemessen identifizieren, in der sie sich entwickeln muss. Leider hat der neue Krieg gegen den Westen eine neue Welle von Kontroversen im russischen Establishment ausgelöst, so dass in letzter Zeit immer wieder Ideen zur Wiederbelebung der russischen Monarchie, des russischen orthodoxen Zarenreiches und selbstverständlich des Imperiums geäußert werden. Obwohl die Russen darauf schon längst eindeutig geantwortet haben: Ihr Land will nicht – anders als die Ukraine —, dass es auf seinem Territorium nur eine Sprache, nur ein Blut und nur einen Glauben gibt. Unser Land ist eine multinationale und multikonfessionelle FÖDERATION. Und als Föderation kann es unmöglich ein Imperium sein, denn das wäre eine prinzipiell andere Staatsordnung.

Imperium ist ein Staatstyp, in dem die administrativ-politische Machtvertikale absolut herrscht. Ein Imperium ist immer ein Paradies für Beamte, gleichzeitig aber ein Gefängnis für einfache Menschen, darunter (und oft vor allem) für das Titularvolk. Die Anhänger des Imperiums bezeichnen dieses Bürokraten-Reich als „starken Staat“ und behaupten, das russische Volk könnte ohne eine starke Staatsgewalt nicht zurechtkommen. Dabei sind jegliche Debatten über „ein starkes Imperium“ falsch und gefährlich, denn sie führen Russland zur Selbstzerstörung nach dem ethnischen und sozialen Merkmal. Es stellt sich die Frage: Warum wollen manche Politiker – trotz der offenbaren Dummheit der Idee vom Imperium – Russland das Format einer Großmacht aufzwingen?! Neigen sie etwa zum Selbstmord?  Oder bestehen sie darauf, weil ein Imperium viel leichter zu zerstören wäre als eine Föderation?

Russland hat heutzutage Argumente gegen seine westlichen Gegner, die versuchen, unser Land, das die Krim und die „Separatisten“ im Südosten der Ukraine unterstützt hat, zu „föderalisieren“: Russland ist bereits eine Föderation. Russlands Anerkennung als Imperium würde aber dem Westen weitere Gründe geben, die Russische Welt zu zerstören – um die von diesem „Imperium“ unterdrückten Völker zu „befreien“. Das wäre unter anderem ein Grund, die russische Sprache überall zur „Sprache von Okkupanten“ abzustempeln und die Welt zu zwingen, nicht nur Angst vor den wilden „Orks“ aus dem Osten zu haben, sondern vielmehr sie zu hassen und systematisch zu vernichten. Angesichts dessen müssen wir nicht die imperiale „Einzigartigkeit“ Russlands, sondern die Einzigartigkeit unserer Kultur kultivieren, um den wahren Leviathan loszuwerden. Wir müssen nicht unsere Verwaltungskraft kultivieren, die bislang Russland immer schadete, sondern vor allem unsere geistige Kraft und unsere Werte.

Der richtige NAME des Großen Russlands ist Zivilisation, in der die Russische Föderation nur die Staatsform seiner Existenz ist. Die wichtigsten Werte dieser Zivilisation sind die aus der bäuerlichen Geschichte des russischen Volkes resultierende Schaffenskraft und Solidarität, der durch das multinationale Wesen Russlands bedingte Internationalismus, die durch die orthodoxe Ethik bedingten Gewissen und Heiligkeit sowie vieles von dem, was ich in diesem Artikel nicht erwähne.

Viele Anhänger der russischen „Staatlichkeit“ bauen heutzutage ein imperiales „Luftschloss“, damit Leute wie Swjaginzew im Ausland Preise für ihre Angriffe gegen den russischen Leviathan einsammeln. Für Swjaginzew & Co. ist ein „starker Staat“ das absolute Übel. Für Leute wie Prochanow, Schirinowski usw. ist das die einzig mögliche Form des Bestehens der russischen Nation. Dabei haben sowohl Prochanow als auch Schirinowski völlig Unrecht.  Denn das größte Problem besteht nicht darin, ob es viel oder wenig Staat im Leben der russischen Menschen geben sollte, sondern darin, WIE dieser Staat sein sollte.

In Russland versteht man inzwischen, dass der Staat in unserem Land nicht liberal sein sollte. Man begreift jedoch noch nicht, dass der Staat auch kein Imperium sein sollte. Die Hauptsache ist aber, dass man nicht begreift, dass ein moderner Staat unmöglich stark sein kann, wenn er unklug und ungerecht ist. Im Prinzip hängt die Stärke eines jeden Staates heutzutage nicht von seinen Atomwaffen oder von seinem Bruttoinlandsprodukt ab, sondern vom Intellekt und der Geisteskraft seiner Bevölkerung. Stalin hatte das einst begriffen und sowohl dem neuen sowjetischen technokratischen Intellekt als auch dem nationalen Geist die Möglichkeit gegeben, sich zu entfalten. Deshalb konnte die Sowjetunion dem von der internationalen Oligarchie organisierten Kreuzzug in den Osten erfolgreich widerstehen.  Dementsprechend wird das heutige Russland, das wieder von Feinden umgeben ist, nur dann überleben, wenn es den russischen Ideen und dem russischen Geist die Möglichkeit gibt, sich zu entfalten – egal ob in Moskau oder in Kostroma, auf der Krim oder in „Neurussland“, oder sonst wo.

Diesen Geist gibt es in Russland nach wie vor – davon zeugt die Großzügigkeit der Russen. Russland ist immer großzügig, aber in der Ukraine ist es derzeit dermaßen großzügig, dass es nicht nur Hunderttausende Flüchtlinge unabhängig von deren Nationalität aufnimmt, sondern auch gefangengenommene ukrainische Soldaten, die an den „Strafaktionen“ in der Ostukraine beteiligt waren, in seinen Krankenhäusern behandelt. Die Ukraine wird aber in absehbarer Zeit nicht erstarken: Das Regime in Kiew wird immer grausamer und gnadenloser; es versucht, das ganze Land zu mobilisieren und zu militarisieren. Es kann aber nicht die Ukraine stärker machen, weil die Etablierung dieser „europäischen Großmacht“ durch die Förderung von Blutvergießen, Hass und Lügen erfolgt.

Aber zurück zum Leviathan: Globale Supermächte sind nicht an der Gestaltung des Geistes interessiert. Wahre Großmächte müssen keinen „starken Geist“ fördern, weil in diesen Ländern normalerweise „absolute Zufriedenheit“ herrscht. An dem Grad dieser rein physischen Zufriedenheit wird heutzutage die westliche „Zivilisiertheit“ gemessen. In dieser Situation muss Russland dem globalen Reich des Geldes und des Kaugummis keine kleine Kopie des Leviathans gegenüberstellen, sondern seine einzigartige Zivilisiertheit, auf deren Basis keine neue Utopie, sondern eine neue, durchaus  realistische und – was am Wichtigsten ist – wertebezogene Ideologie der Entwicklung der Russischen Welt und Eurasiens entsteht.