Die negative Wahrnehmung und Einstellung gegenüber der Propaganda, die derzeit in der russischen Gesellschaft vorherrscht, behindert die Kommunikation zwischen dem Staat und der Gesellschaft. Ein Ausweg aus dieser Situation wäre die Zurückeroberung der Gesellschaft als Propaganda-Subjekt samt einem Neustart der realen Propaganda, die ihrerseits die Rückkehr Russlands in die reale Geschichte bedeuten würde.

Propagandistisches Image der Propaganda in Russland

In Russland herrscht heutzutage eine negative Vorstellung von der Propaganda vor – selbst das Wort „Propaganda“ ruft Misstrauen hervor. Das lässt sich auf die Vielzahl von verschiedenen Mythen über die Propaganda zurückführen, die den Menschen in Russland eingeredet wurden.

Erstens wird die Propaganda als ein rein russisches Phänomen dargestellt: Als würde es in anderen Ländern keine Propaganda geben, egal ob auf staatlicher oder auf korporativer Ebene, und als würde es im Westen nur objektive Nachrichten und nur faire Werbung geben.

Das auf diese Weise dargestellte Bild wirkt erschreckend: Russland würde Informationskriege führen, das Bewusstsein seiner Bürger manipulieren und die ganze zivilisierte Welt anlügen. Das hat Alexander Sinowjew sehr genau beschrieben: „Während der ganzen sowjetischen Geschichte wurde den sowjetischen Menschen von der staatlichen Ideologie eine negative Vorstellung vom Westen aufgezwungen. Daran gab es nichts Kriminelles oder Amoralisches. Das ist eine ganz übliche Sache in der realen Geschichte. Denn auch im Westen, wo es zwar keine einheitliche staatliche Ideologie gab, wurden der Bevölkerung ideologisch tendenziöse und falsche Vorstellungen von der Sowjetunion und der kommunistischen Gesellschaft aufgezwungen, und jetzt wird das doppelt so intensiv getan. Jetzt ist es zu einer beispiellosen Wende im Verhalten zum Westen gekommen – selbst in der offiziellen Ideologie. Jetzt hat man sich ins entgegengesetzte Extrem begeben, und zwar mit Wissen und Willen der Staatsführung.“

Zweitens wird die Propaganda Desinformationen, Lügen, dem Manipulieren, Betrug usw. gleichgesetzt. Ungünstige Nachrichten, Foto- und Videobeweise dafür werden wiederum als Propaganda abgestempelt und widerlegt.

Positive Funktionen der Propaganda wie Vermittlung und Popularisierung von Werten, Prinzipien und Ideen dieser oder jener Gesellschaft werden völlig ausgeschlossen. Das wird durch historische Erfahrungen, vor allem am Beispiel der Propaganda im faschistischen Deutschland, begründet.

Drittens wird die Propaganda ausschließlich als politisches Instrument wahrgenommen. Gleichzeitig aber wird die korporative Propaganda (Marketing, Branding, Werbung, PR) ignoriert, obwohl ihre Rolle in einer Konsumgesellschaft enorm wichtig ist.

Viertens herrscht die Meinung vor, dass Propaganda nur durch Massenmedien verbreitet wird. Andere Möglichkeiten, das Sozium zu beeinflussen (zum Beispiel Bücher, die die Geschichte des Landes verleumden), gelten unter dem Vorwand der „Meinungsfreiheit“ nicht als Propaganda.

Das alles gestattet es, in erster Linie ein negatives Image eines Staates zu schaffen (indem dieser von der Gesellschaft mit einer Mauer aus „Lügen“ und Misstrauen getrennt wird) und zweitens den Inhalt der Propaganda – die Ideologie – unauffällig und unkritisch für die Wahrnehmung zu machen. Damit zerstört das Negieren des Rechts auf Propaganda (dabei ausgerechnet auf eine eigene Propaganda) die Kommunikation des Staates.

Ideologie ist reale Propaganda

Aber selbst wenn wir die Propaganda in Russland von den propagandistischen Konstruktionen und „Stempeln“ befreien, werden wir die reale Propaganda, ihre Funktionen, Struktur, Mechanismen usw. nicht begreifen. Die Institutionen der Propaganda sind nichts mehr als Institutionen der Ideologie.

Die reale Ideologie wird getarnt. Großenteils passiert das deswegen, weil sie oft zu antihuman ist: So steht hinter der modernen westlichen Propaganda der kaum verdeckte Russenhass, der nahezu physiologisch ist.

Der reale Einfluss, der die Gesellschaft zusammenschweißen oder zerstören kann, wird ausgerechnet durch die Ideologie in Form von Propaganda ausgeübt. Nicht die „mechanische“ Propaganda, sondern vor allem die ideologische „Bearbeitung“ der Gesellschaft hat während des Kalten Kriegs den Zusammenbruch der Sowjetunion bedingt.

Alexander Sinowjew schrieb völlig richtig: „Die sowjetische offizielle Ideologie hat sich als unfähig erwiesen, die positiven Errungenschaften ihrer Gesellschaftsordnung zu verteidigen und die Defekte der westlichen Gesellschaftsordnung zu kritisieren. Sie war unvorbereitet auf die massive ideologische Attacke aus dem Westen. Das Land war in ideologische Panik geraten.“

Damit ist die Gesellschaft das wichtigste Element der Ideologie. Gerade sie muss nicht nur zum passiven Objekt der Propaganda werden, wie man üblich glaubt, sondern auch ihr aktives Subjekt, damit sie vor äußeren propagandistischen und mentalen Viren geschützt wird.

Die Gesellschaft als Objekt und Subjekt der Propaganda

Das reale Subjekt der Propaganda ist die Gesellschaft. Die Effizienz der Propaganda ist nicht nur durch ihren Inhalt bedingt, sondern vor allem dadurch, ob und wie sie von den Menschen wahrgenommen wird. In diesem Sinne kann die Propaganda jeden möglichen Unsinn und sogar offensichtliche Lügen verbreiten, aber falls die Gesellschaft diese Informationen für wahr hält, dann funktioniert sie.

So begann die sowjetische Propaganda in einer gewissen historischen Phase, der westlichen immer hinterher zu hinken. Der Grund dafür war, dass die Menschen trotz der massiven Propaganda und des hohen Entwicklungsstandes ihrer Institutionen daran kaum noch glaubten.

Die sowjetische Propaganda wurde offen ausgelacht. Aber in Übereinstimmung mit den objektiven sozialen Gesetzen wurde das entstandene Vakuum sofort mit äußerer Propaganda gefüllt, was die Gesellschaft letztendlich zu einer Katastrophe geführt hat. Was war aber der Grund für den Bruch zwischen der Propaganda und der Gesellschaft?

Die sowjetische Propaganda lag nach dem Zweiten Weltkrieg  dem Bildungs- und Entwicklungsstand der Gesellschaft, der in der Sowjetunion ziemlich hoch war, immer weiter zurück.  Die Propaganda war aber auf ihrem Vorkriegsniveau stehen geblieben und konnte deshalb von der besser entwickelten Gesellschaft nicht angemessen wahrgenommen werden.

Auffallend ist, dass dieselbe Geschichte jetzt mit der modernen westlichen Propaganda und deren Subjekten in Russland passiert. Die westliche Propaganda ist auf dem intellektuellen Niveau der unkritischen Einschätzung der Realität der 1990er-Jahre geblieben und wird nun bestenfalls als eine Art „Psaking“ (angelehnt an US-Außenamtssprecherin Jen Psaki) wahrgenommen.

Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, hat aber leider einen hohen Preis zahlen müssen, um jetzt viele aktuelle soziale und wirtschaftliche Prozesse richtig einschätzen zu können. Derselbe schwere Weg steht der ukrainischen Gesellschaft bevor.

Neustart der Propaganda als Rückkehr in die Geschichte

Ein eigenes Propagandasystem hat Russland vorerst nicht – es entsteht erst allmählich. Damit dieser Prozess Erfolg hat, müssen folgende positive Aufgaben gelöst werden:

1)    Die Propaganda muss als Institution wiederbelebt werden.
2)    Die Propaganda muss mit sozialen, kulturellen und politischen Inhalten (sprich mit einer Ideologie) gefüllt werden.
3)    Die Propaganda muss sich im Gleichschritt mit der Gesellschaft entwickeln, damit es nicht wieder zu einem Bruch zwischen ihnen kommt.

Die letzte Aufgabe ist besonders schwierig, umfassend und aktuell, denn eine Senkung des  Niveaus des gesellschaftlichen Bewusstseins führt unvermeidlich entweder zur Verdummung der Gesellschaft oder zur Totalisierung. Damit würde der Übergang zur realen Propaganda den Übergang zur realen Geschichte bedeuten, in der Russland um jeden Preis bleiben muss, um weiter zu bestehen.