Die Ereignisse in der Ukraine und die Spaltung dieses Landes nicht nach dem ethnischen, sondern vor allem nach dem zivilisatorischen Prinzip bestimmten die Bildung einer neuen Nationalen Idee in Russland.

Seit einem Vierteljahrhundert erfolgte die Suche nach dieser Idee in zwei gegensätzlichen Richtungen – der liberalen prowestlichen Ideologie und der postsowjetischen imperialen Ideologie. Am Ende der Nulljahre wurden die Ineffizienz und die Mangelhaftigkeit der liberalen prowestlichen Idee so offensichtlich, dass auch beim vorhandenen Wunsch der neuen russischen politischen Klasse, den Status quo im Lande zu bewahren, eine natürliche Bewegung der russischen Elite in Richtung einer neuen aktuellen Idee begann. Nach dem Beginn der westlichen Operation zum „ Erzwingen eines Chaos“ in Bezug auf die Ukraine,  wurde es nicht nur den Intellektuellen, sondern auch den schlechten Studenten klar, dass die aus der liberalen Doktrin hervorgehenden Konzepte zur Bildung einer „überoffenen Gesellschaft“, des Aufbaus „eines großen Europas“ u.a. gegenstandslos sind.

Der Rückgang der Wirtschaftswachstums in Russland und die Ohnmacht der Kompradoren, die in der russischen Regierung alle wichtigen Posten besetzen, die Situation zu verbessern, prägten die Botschaft des russischen Präsidenten und seine Interessen, wobei nach einem Orientierungspunkt in einem pragmatischen Raum gesucht wird.

Am 12. September 2012 betonte Wladimir Putin bei einem Treffen mit Jugendlichen in Krasnodar, dass „man die eigene Zukunft auf einem festen Fundament aufbauen muss, und dieses Fundament ist die Vaterlandsliebe… Dass sind der Respekt gegenüber der eigenen Geschichte und Traditionen, die geistigen Werte unserer Völker, unserer tausendjähriger Kultur und der einzigartigen Erfahrung der Koexistenz von Hunderten Völkern und Sprachen in Russland“. Am 4. September 2013 äußerte der russische Präsident zum ersten Mal seine politische Gesinnung und bezeichnete sich als „Pragmatiker mit Neigung zum Konservatismus“. 

Die Wende des russischen Präsidenten in Richtung Konservatismus in seiner patriotischen Version bewegte die Vertreter der rechten und linken Flügel des russischen politischen Lebens zu verschiedenen antiliberalen Aktivitäten. Mit Unterstützung des Kreml wurde der Isborski-Klub ins Leben gerufen, der das Konzept des „Fünften Imperiums“ entwickelte. Aktive Handlungen unternehmen verschiedene Anhänger der Staatsmacht, Neokonservative, Potschwenniki (Vertreter der Strömung „Rückkehr zum Boden“), Monarchisten, schwarze Hundertschaften, Russenfreunde und Europahasser. Auf Anweisung von Oben wurden die Nationale Befreiungsbewegung, die Gruppe „Wesen der Zeit“ und andere Strukturen geschaffen, mit deren  Hilfe die Patrioten, die die Regierung unterstützen, gegen alles Prowestliches zusammengeschlossen werden sollen.

Inzwischen zeigten die Ereignisse in der Ukraine, dass die imperiale Idee nicht einfach ein Anachronismus, sondern ein Reizfaktor für diejenigen ist, die heute in den neuen unabhängigen Staaten wohnen, auch in den russischen Autonomiegebieten und in den kosmopolitischen und internationalen Hauptstädten – Moskau, Sankt Petersburg und Kasan. Andere antiliberale Konzepte steckten in Marginalität und Unfähigkeit, den Behörden eine funktionierende und systematische Alternative zum rückläufigen Wirtschaftswachstum anzubieten.

Doch neben den genannten Ideen entstand unter den russischen Intellektuellen vor langem eine zivilisatorische Idee. Während der letzten Präsidentschaftswahl griffen die Redenschreiber des russischen Präsidenten zu den Broschüren „Zivilisation der Aktiva“ und „Vom Neuen Russland zur Eurasischen Zivilisation“. Diese Tatsache wurde vielleicht zum Antriebsfaktor bei der Entstehung der Wortverbindung „Russland – Staat-Zivilisation“ in der Botschaft des russischen Präsidenten an die Föderalversammlung vom Dezember 2012. Noch eindeutiger äußerte sich Putin bei der Sitzung des Waldai-Klubs am 19. September 2013. „Gerade aus dem Staat-Zivilisation-Modell gehen die Besonderheiten unseres staatlichen Aufbaus hervor“.

Der zivilisatorische Trend wurde auch vom Patriarchen von Moskau und ganz Russland Kirill aufgenommen. In seiner Rede am 31. Oktober 2013 während der XVII. Allrussischen Synode sagte er, dass Russland eine Zivilisation mit eigenen Werten, Merkmalen der Gesellschaftsentwicklung, sozialem und Staatsmodell, einem eigenen System der historischen und geistigen Koordinaten ist“. Nach der Wiedervereinigung der Krim und Russlands und der Entstehung der Volkswehr im Südosten der Ukraine hat die zivilisatorische Idee einen festen Platz im System der neuen Ideologie der russischen Welt als ein grundlegendes Ideologem bekommen.

Damit entstand in Russland im Frühjahr 2014 ein neuer politischer Diskurs, wobei der Begriff „Zivilisation“ die wichtigste Rolle spielt.
Die BEZEICHNUNG der neuen Nationalen Idee – „Ideologie der russischen Zivilisation“. Es wurde auch das Objekt dieser Idee bestimmt – die Russische Welt, die nicht im ethnischen sondern im kulturell-geografischen und überethnischen Sinne verstanden wird – als das wichtigste, jedoch nicht das einzige und dominierende Element der sich heute herausbildenden Eurasischen Zivilisationsgesellschaft… Im Artikel „Erreichen einer übernationalen Ideologie“ wird die Russische Welt auf folgende Weise verstanden:
a)    Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, unabhängig von Nationalität, Glauben und Wohnort;
b)    Alle russischen und russischsprachigen Menschen unabhängig von ihrem Wohnort und der Staatsbürgerschaft;
c)    Der Raum der Russischen Föderation und anderen mit Russland verbündeten Länder, deren Bürger die zivilisatorischen Ziele und Werte Russlands und der Russen teilen sowie Russisch sprechen wollen und die russischen Kultur erlernen wollen.

Neben der Bezeichnung und des Objektes der neuen Nationalen Ideologie wurde auch deren GEGENSTAND determiniert. Das ist eine zivilisatorische Entwicklung der Russischen Föderation und der Russischen Welt, die das ZIEL der Innen- und Außenpolitik der russischen Staatsführung werden soll. Es handelt sich um eine zivilisatorische (und nicht eine nationale, imperiale und postsowjetische) Entwicklung (und nicht um Reformen, Revolution, prowestliche Umwandlung u.a.).

Die zivilisatorischen Entwicklungsparadigmen sehen einen Übergang der ideen- und politischen Konstrukte, die den Stimmungen der meisten russischen Bürger entsprechen, in eine nationale, also vereinigende Ideologie. Sie sieht auch den Austritt der Gesellschaft aus dem Zustand der Anomie (Begriff des Soziologen Emile Durkheim), wobei der Schwerpunkt der Ideologie nicht auf die Frage der Macht, sondern auf den anthroposophischen Faktor und eine entwickelte Axiologie als System der Werte und Imperative gelegt wird, die die russische Zivilisation von anderen transregionalen Zivilisationen unterscheiden und allen Prozessen in Russland den gesuchten Sinn verleihen.

Die Grundlage der neuen russischen zivilisatorischen Ideologie sind die historischen soziokulturellen und andere Erfahrungen Russlands, wobei die Priorität der geistigen Werte und die Verachtung des „Goldenen Kalbes“ zu erkennen sind. Es ist klar, dass es in dieser Erfahrung viel Mythos und realitätsferne Spielereien gibt. Doch Russland hat die Erfahrung von geistig-moralischen Prioritäten, die mit dem Wesen der russischen Super-Ethnie verbunden ist und das Gegenteil der Ethnien und Staaten darstellt, die solche Prioritäten wie Gewinne via Finanzoperationen und Handel (darunter Menschenhandel) und die damit verbundenen kapitalistischen Produktionswege und Konsumverhalten zum Menschen und zur Natur haben.

Zum Jahr 2017/2018 wird die Idee der zivilisatorischen Entwicklung der Russischen Welt die prägende in Russland – die Grundlage für die Weltanschauung, die nach Dutzenden Jahren fruchtloser Interpretationen im Rahmen der am Anfang des 20. Jahrhunderts aufgedrängten fremden Diskurse nicht nur mit lebendigen Diskussionen, sondern auch mit innovativem Herangehen, konkreten Studien, sehr guten Analysen und professionellen Prognosen sowie der Schaffung der Zukunft Russlands und Eurasiens bereichert wird.