Westen sieht Russland als Feind, weil es „falsche“ Werte hat

Wollen wir das im jüngsten Artikel von Olga Sinowjewa begonnene Gespräch über europäische und russische Werte fortsetzen. Die estnische Außenministerin Marina Kaljurand sagte vor kurzem, dass einer der Gründe, warum die EU auch weiter den antirussischen Kurs fortsetzen wird, der Unterschied bei den Herangehensweisen bei der Frage über „wichtigste Werte" sein wird.
Dabei konnte die Außenministerin Estlands nur einen „Wert" nennen, der ihr zufolge Europa von Russland unterscheidet. Das ist die angebliche „Aggressivität" Russlands. „Angesichts des aggressiven Charakters der Außenpolitik Russlands, wird Europa weiter die alte Position gegenüber Russland fortsetzen", sagte Kaljurand.
Es gibt hier wohl keine Logik. Auffallend ist Diskrepanz zwischen dem wahren Sinn des Gesagten und der Realität.
Ich werde jedoch die Logik und die Vergleichsanalyse der Kennzahlen der wahren Aggressivität der Nato zur Seite schieben, die ihren Einfluss in Richtung Grenzen Russlands einseitig ausdehnt, das als Gegenmaßnahme eigene Verteidigungssysteme einsetzen muss. Ich übergehe zur Hauptfrage — Frage, wie wahre Werte des modernen Westeuropas sind, darunter im Vergleich mit den russischen Werten.
Glaube an Fernsehen als einfachster Weg, Stütze zu bekommen
Das Bewusstsein der meisten Bürger des heutigen Russlands, die auf sozialistische Ideologie verzichteten und nicht einer zuverlässigen Doktrin anschlossen, ist viel freier als das Bewusstsein eines durchschnittlichen westlichen Menschen.
Der postsowjetische Mensch befindet sich im Zustand einer sich in die Länge gezogenen und in vielen Hinsichten selbstständigen Suche nach einer neuen Weltanschauungsdoktrin. Da es in Russland keine eindeutig attraktive für die meisten Einwohner Idee gibt (woher soll sie kommen, wenn es in Russland selbst Eliten keine solche Idee haben), wechselt der postsowjetische Mensch zu einer der vier Gruppen.
Die erste Gruppe (die größte) bevorzugt, dem russischen Fernsehen zu glauben. Die zweite Gruppe bevorzugt, dem russischen Fernsehen nicht zu glauben, glaubt jedoch dabei dem westlichen Fernsehen.
Die dritte Gruppe glaubt niemandem und rutscht zu einem einfachen Verbrauch. Die vierte Gruppe tobt zwischen verschiedenen Fernsehen und nimmt jede Idee auf, die ihnen an einem bestimmten Zeitpunkt als akzeptabel erscheint.
Im heutigen Russland ist also Pluralismus zu erkennen, der einerseits Menschen die Freiheit der Wahl bereitstellt und andererseits vom Abrutschen in den Chaos der sinnlosen Interpretationen nicht befreit.
Eine andere Sache ist der westliche Mensch, der keine Freiheit der Wahl mehr hat, jedoch davon überzeugt wurde, dass er frei wie kaum noch jemand ist. Im Laufe von mehreren Jahren des Kampfes gegen das „globale Übel" (egal worin es bestand — im Kommunismus oder im russischen Imperialismus), wurde ihm beigebracht, nur an eigene Medien zu glauben. Zudem wurde er gezwungen, daran zu glauben, dass eigene Euro-amerikanische Medien professioneller als jede andere sind und mehr Wahrheit bieten.
Der westliche Mensch wurde davon überzeugt, dass jede Informationen, die dem Weltbild Washingtons, Londons und Brüssels nicht passt, PROPAGANDA sind.
Solche Grundbegriffe wie „Freiheit", „Demokratie" bzw. „Fortschritt" sind jetzt zu viel diskreditiert. Die Europäer beginnen zu einer anderen Terminologie zu wechseln. Eine der wichtigsten Kategorien des modernen Westeuropas wird der von uns erwähnte Begriff „Propaganda".
Heute ist diese Kategorie am Höhepunkt ihrer Aktualität. Macht nichts, dass sie seit langem ihren wahren Sinn verlor und sich in Klischee verwandelte. Wichtig ist, dass dieses Klischee funktionell, universell und deswegen effektiv aus der Sicht des Erreichens der Ziele des Informationskriegs ist. Es ermöglicht jede mögliche Markierung, darunter Imperative von Kant.
Die wichtigste Kategorie der westeuropäischen Policy-Maker wurde der Begriff „EUROPÄISCHE WERTE" (meines Erachtens ist es der Lieblingsbegriff der Bundeskanzlerin Angela Merkel).
Westliche Werte — aufgedrängtes Ideal
Mithilfe des Einwurfs der Kategorie „westliche Werte" (gemeint werden „Werte der zivilisierten Welt") in den globalen Informationsraum löst der Westen eine Kollision. Falls das heutige Russland keine offizielle nationale Idee hat (zumal zeigt es offiziell die Anhänglichkeit der liberalen also prowestlichen Ideologie), wie kann man gegen es einen ideologischen Kampf führen?
Der Westen erklärt Russland nicht den Krieg nach dem früheren ideologischen Merkmal. Russland wird vorgeworfen, es habe „falsche Werte", was dem Westen moralische und andere Gründe bietet, Russland in allen Richtungen anzugreifen.
Dabei würden westliche Ideologen und Intellektuellen, wenn man ihnen vorschlägt, die Begriffe „US-Werte", „europäische Werte", „westliche Werte" u.a. zu definieren, etwa Dutzend Klischees nennen, die seit langem ihren ursprünglichen Sinn verloren.
Bei der Enträtselung des Begriffs „europäische Werte" wird vor allem „Demokratie", dann noch Bewegungsfreiheit, starke Zivilgesellschaft, Rechtshoheit, politischer Pluralismus, System der sozialen Garantien und Toleranz genannt. Diese Werte inspirierten wohl die Ukraine, die von der Eurointegration besessen wurde, sowie Millionen Einwohner anderer Länder, die Einwanderer wurden.
Klar ist, dass niemand den Ukrainern oder noch jemandem den Unterschied zwischen den wahren Werten und Nachahmung eines Ideals erklärt. Der Unterschied zwischen dem Wort (beispielsweise „Demokratie") und der Tat (eine totale Unterdrücken von Andersdenken und Organisation des Sturzes von legitimen Regimes in unbequemen Ländern) wurde eine der wichtigsten Technologien, die es dem Westen ermöglicht, den Raum eigener Werte auszudehnen.
Die Nachahmung von Demokratie ist natürlich besser als Massaker in Syrien und ein real existierendes System der sozialen Garantien ist besser als zunehmende Oligarchen-Willkür in der Ukraine. Doch Russland ist nicht die Ukraine und nicht das geplünderte Libyen und Syrien, damit man hier auf einmal eigene Werte durch fremde Werte ersetzt.
Auch das Fernsehen funktioniert in Russland besser als irgendwo in der Ukraine, wobei man den Einwohnern Russlands ihre Vorteile erklärt.
Zwei Welten — zwei Lebensweisen
Der Verfasser dieses Artikels machte schon einmal eine Vergleichsanalyse der zwei Wertsysteme — des russischen und des westeuropäischen. Jetzt schlage ich vor, die Tabelle anzuschauen.
Moderne westeuropäische Werte |
Werte der russischen Zivilisation |
Globalismus |
Multipolare Welt |
Universalität |
Eigenständigkeit |
Fortschritt ohne Einschränkungen |
Vorwärtsbewegung ohne Zerstörung des Alten |
Materieller Wohlstand |
Geistliche Entwicklung |
Multikulturalismus |
Internationalismus (Völkerbruderschaft) |
Politischer Pluralismus |
Konziliarität |
Starke Zivilgesellschaft |
Solidargesellschaft |
Agnostizismus und Atheismus |
Glauben (traditionelle Religionen) |
Vorrang der nicht traditionellen Religionen |
Vorrang der traditionellen Religionen |
Geschlechtergleichheit (Feminisierung der Männer und Maskulinisierung der Frauen) |
Aufrechterhalten der Geschlechtsunterschiede und Traditionen |
Homosexuelle Ehen |
Traditionelle Familie |
Unterstützung der LGBT zum Nachteil der traditionellen Mehrheit |
Anerkennung der Homosexualität als nicht normal |
Kinder- und Jugend-Schutz mit Rechtsschutz der Kinder von Eltern |
Ausschließliches Recht der Eltern auf die Erziehung der Kinder bis zum bestimmten Alter |
Individualismus |
Verschiedene Formen der Kommunitarität |
Freiheit als maximaler Verzicht auf soziale Tabus |
Freiheit als Annäherung zum Ideal |
Dort, wo Gesetz ist, ist auch Gerechtigkeit |
Gerechtigkeit ist höher als Gesetz |
Formelle Toleranz |
Wahre Toleranz |
Politische Korrektheit |
Wahrheit |
Transparenz |
Offenheit – im Sinne Ehrlichkeit |
Pressefreiheit |
Glaubwürdigkeit der Presse |
Scham |
Gewissen |
Vorrang des privaten Eigentums |
Alle Eigentumstypen sind gleich |
Recht auf einseitige Anwendung der Gewalt im Namen der Demokratie |
Gewaltlosigkeit |
Soziale Garantien für alle |
Soziale Garantien für alle |
Die angegebene Liste der Werte kann fortgesetzt werden (ich erwähnte beispielsweise nicht verschiedene Deutungen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Weltgeschichte im Ganzen), allerdings ist der Richtung des Gedankens und der Ausmaß der Unterschiede zwischen zwei Wertesystemen wohl klar.Es gibt bei allen Punkten bis auf den letzten Punkt Unterschiede zwischen den Werten in Westeuropa und Russland.
Die Kritiker würden wohl betonen, dass die auf der rechten Seite aufgezählten Werte eher Ideale sind und in Russland in der Tat das Niveau des Verbrauchs ebenso wie in Westeuropa ist. Auch gestohlen und gelogen wird in Russland mehr als im Westen. Es gibt auch keine einheitliche Gemeinschaft, sondern einen Oligarchen-Staat. Auch mit Gerechtigkeit gibt es Probleme.
Vieles davon gibt es im heutigen Russland tatsächlich nicht. Es wurden aber nicht die jetzigen russischen Werte (viele von denen befinden sich im Zustand einer Erosion), sondern die Werte der russischen Zivilisation genannt, die den ständigen Inhalt des zivilisatorischen Codes Russland darstellen. Russland verzichtete teilweise auf diesen Code in der Sowjetzeit und später in der neurussischen Zeit. Doch jetzt will es ihn wiederherstellen und als Grundlage bei der Umkehr zur neuen Entwicklungsstrategie nutzen.